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Die Longenarbeit - 1. Teil

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REF ART76, longe

 

Ich habe Stunden damit verbracht, Pferden an der Longe zuzusehen. Dabei habe ich viel über ihre Bewegung, aber auch über ihre Reaktionen gelernt. Das gleiche gilt übrigens für das Pferd: Sei es an der Longe oder frei, es beobachtet die Reaktionen des Menschen. Nach einigen Runden findet ein feines Spiel zwischen Ranghöherem und Rangniedrigerem statt, wie mit einem Hund. Mal braucht das Pferd Dominanz, ohne zu übertreiben, sonst schränkt es seine Bewegungen ein, mal dominiert es selbst, indem es seiner Freude und dem Glück, sich frei zu bewegen, freien Lauf lässt. 

Ich erinnere mich an Jean-Claude, einen Pferdepfleger, den ich vor ein paar Jahren eingestellt hatte. Am Tag seiner Ankunft am Stall bat ich ihn darum, eines meiner Pferde zu longieren. Nach einigen Runden und ein paar Freudensprüngen bleibt das Pferd stehen und wartet ab, mit dem Blick auf den Longenführer. Jean-Claude ist etwas aus dem Konzept gebracht und lässt die Peitsche knallen, doch nach einigen Runden bleibt das Pferd erneut stehen und stellt sich ihm gegenüber auf.

Als Beobachter der Szene frage ich Jean-Claude:

«Welchen Körperteil des Pferdes siehst du an, wenn du longierst?» 

«Also, ich glaube, ich sehe auf seinen schönen Kopf!» 

In der Tat, alle Leute, die nicht gelernt haben, zu longieren, neigen dazu, sich vor dem Pferd zu stellen und seinen Kopf anzusehen. Doch wie wir wissen, sind Pferde Fluchttiere. Dies hat natürliche Reflexe zur Folge: Die Vorwärtsbewegung lässt sich leichter erhalten, wenn das Pferd durch eine hinter ihm befindliche potentielle Gefahr angetrieben wird.

Wenn die Gefahr jedoch vor ihm auftaucht, wird es dazu neigen, anzuhalten und in der umgedrehten Richtung davonzustürmen.

Bei der Longenarbeit wird das Pferd aufgrund derselben Reflexe dazu veranlasst, vorwärts zu gehen oder stehenzubleiben.

Darum forderte ich Jean-Claude dazu auf, weiter zu longieren, und dabei auf die Sprunggelenke des Pferdes zu sehen, dann auf den Gurtbereich, und dann auf den Kopf.

«Versuche, dir über die unterschiedliche Verhaltensweise des Pferdes klar zu werden, je nachdem, wo du hinsiehst.» (...)

Jean-Claude wurde sich schnell bewusst, dass das Pferd spürte, dass es besser vorwärts gehen sollte, wenn er seinen Focus auf die Hinterhand richtete. 

Nach einigen Runden kam Jean-Claude zu der Schlussfolgerung, dass der Panoramablick hinter dem Gurtbereich am zufriedenstellendsten war, weil sich damit ein ruhiges Pferd mit gleichmäßigen Gängen erhalten ließ (...)